AUCH GUT INFORMIERTE PATIENTEN KÖNNEN BEI EINTRITT DER GENEHMIGUNGSFIKTION GUTGLÄUBIG SEIN
(§ 13 Abs. 3 a SGB V; Sozialgesetzbuch V = Krankenkassenrecht)
Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seiner neueren Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion (Paradigmenwechsel im BSG-Urteil v. 26.05.2020, Az. B 1 KR 9/18 R) das Merkmal der Gutgläubigkeit hervorgehoben. Aber auch gut informierte Patienten können nach einer Entscheidung des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg gutgläubig sein.
Gegenstand einer Entscheidung des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 03.03.2021, Az. L 5 KR 4214/19) war u. a. die Fragestellung, ob allein durch die Beantragung einer NUB (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, welche noch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse ist) Bösgläubigkeit beim Antragsteller eintreten kann. Die in 1. Instanz beklagte Krankenkasse machte im Berufungsverfahren geltend, die Klägerin habe ausführlich ihren Antrag auf Genehmigung einer mehrzeitigen Liposuktion bei Lipödem begründet, also genau gewusst, dass es sich nicht um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkasse handele und sei daher bereits wegen ihrer Antragsstellung bösgläubig. Eine Genehmigungsfiktion (die beantragte Leistung gilt wegen verspäteter Entscheidung der Krankenkasse als genehmigt) hätte daher nicht eintreten können.
Dies sah der 5. Senat des LSG Baden-Württemberg jedoch anders. Das BSG hatte in seinem Urteil v. 26.05.2020, Az. B 1 KR 9/18 R, in Tz. 25 ausgeführt, dass um so eher von einer zumindest grob fahrlässigen Unkenntnis (Bösgläubigkeit) der Versicherten im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (der beantragten Leistung) auszugehen sei, je offensichtlicher die beantragte Leistung außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung liege. Allein der Umstand, dass ein Arzt Versicherten verdeutlicht, Krankenkassen sähen die Rechtslage zuungunsten der Versicherten anders, er als Vertragsarzt deshalb im Verhältnis zu den Krankenkassen nicht das Vergütungsrisiko übernehmen wolle und er dem Versicherten daher inen Leistungsantrag bei der zuständigen Krankenkasse empfehle, begründet noch keine grob fahrlässige Unkenntnis oder gar Kenntnis der Rechtswidrigkeit der beantragten Leistung (BSG-Urteil v. 26.05.2020, Az. B 1 KR 9/18 R, Tz. 25). Es kommt auch nicht auf formale Ablehnungsentscheidungen an, sondern auf die Qualität der fachlichen Argumente und ihre Nachvollziehbarkeit durch die Versicherten. Deshalb folge aus einer ablehnenden Entscheidung der Krankenkasse für sich genommen noch keine grobe Fahrlässigkeit, auch dann nicht, wenn die Entscheidung der Krankenkasse auf einer Stellungnahme des MDK beruht.
Im konkreten Fall sah es der 5. Senat des LSG Baden-Württemberg als erwiesen an, dass die Klägerin gerade nicht bösgläubig sei. Der Ablehnungsbescheid enthalte nur eine rudimentäre Begründung und verweise im Wesentlichen auf das beigefügte MDK-Gutachten. Auch setze sich das Gutachten nicht mit allen Argumenten der Klägerin auseinander. Hinzu komme, dass ein Antrag auf Leistung einer NUB - wie etwa im Fall der Liposuktion bei Lipödem, welche noch dazu beim Gemeinsamen Bundesausschuss in Überprüfung steht - im Regelfall nicht rechtsmissbräuchlich ist.
Bedeutung für die Praxis:
Allein die Beantragung einer NUB führt nicht zum Eintritt der Bösgläubigkeit beim Antragsteller. Patienten sollten jedoch unbedingt darauf achten, insbesondere bei verspäteten Entscheidungen der Kassen den Ablehnungsbescheid niemals rechtskräftig werden zu lassen und rechtzeitig Widerspruch einlegen.